Hilfsangebote für Menschen mit Demenz – Informationen als Schlüssel
Aue/Schwarzenberg. Die Buchstaben stehen eng aneinandergereiht. Auf sechs Seiten beschreibt Marianne Hammerdörfer ihr Leben. Ein Leben, das vollkommen umgekrempelt worden ist. Die Seiten sind gefüllt mit Verzweiflung und Resignation, aber auch mit Rührung und kleinem Glück. Seit Jahren pflegen Marianne Hammerdörfer und ihre Familie aus Zschorlau die an Demenz leidende Schwiegermutter.
14.000 Mal ist die Krankheit im Erzgebirgskreis derzeit diagnostiziert, berichtet Holger Beyer vom Verein zur Betreuung der Angehöriger Demenzkranker. Doch die Dunkelziffer sei enorm. Beyer schätzt, dass tatsächlich 25.000 Menschen betroffen sind. Eine Umfrage vom Verein und der Universität der Bundeswehr Hamburg liefert Aufschluss darüber, wie sich das Leben der Erkrankten und deren Angehöriger verbessern lässt.
„Die Heimplätze reichen bald hinten und vorne nicht mehr aus“, sagt Beyer. 4000 bis 6000 fehlen im Erzgebirgskreis schon in wenigen Jahren. Umso wichtiger sei, jene zu unterstützen, die ihre erkrankten Eltern, Großeltern, Ehegatten selbst versorgen. Diese Hilfe findet aber nicht leicht ihr Ziel.
Demenz verliert nur zögerlich den Status eines Tabus. Beyer sagt, dass viele Betroffene die Diagnose noch selbst vom Hausarzt erhalten. Doch wer mag so eine Nachricht akzeptieren? Mit den Angehörigen besprechen, was sie bedeutet? Marianne Hammerdörfer weiß das nur zu gut. Als Pflegedienst-Mitarbeiterin ist ihr die Krankheit beruflich vertraut. Doch es ist etwas anderes, ihren Symptomen und Auswirkungen im engsten Umfeld zu begegnen.
Zu erleben, wie die Schwiegermutter Unsummen für dubiose Glücksspiele verschwendet, sich unsinnige Verträge aufschwatzen lässt. Wie sie die eigene Haustür nicht mehr findet. Wie sie schließlich Reden, Essen und Trinken verlernt. „Es fiel uns unsagbar schwer, Mutti so zu sehen“, schreibt sie.
Das Leben Angehöriger kreist einzig um den Patienten. Hammerdörfer: „Es war nur noch ein Zeitplan.“ Sie kennt die Sorge, wie die Leute reagieren, nimmt man sich etwas Zeit für sich: „Da waren noch die Fragen von lieben Menschen: Könnt ihr sie allein lassen?“ Beyer sagt, der Druck begleitet die Angehörigen in jeder Sekunde.
Nicht selten währt die Pflege ein Jahrzehnt und länger. Hammerdörfer ist froh, dass ihre Familie auf Unterstützung ihrer Arbeitgeber und Nachbarn zählen kann. Mancher aber pflegt Angehörige, abgesehen von Pflegediensten, allein. Dann ist soziale Isolation kein Wunder, sagt Beyer. Seine Studie zeigt, dass Erkrankten wie Angehörigen dennoch geholfen werden kann.
Befragte äußern etwa die Hoffnung, dass Pflegedienste unkompliziert einspringen. Sie wünschen Therapie-Formen wie Ergo-, Musik- oder Tiertherapie. Beyer: „Das gibt es alles. Die Leute wissen nur nicht, dass es auch häuslich möglich ist.“ Stelle der Medizinische Dienst der Krankenkassen eine erhebliche Einschränkung der Alltagskompetenz fest, stünden den Patienten für solche Angebote zwischen 100 und 200 Euro monatlich zu. Selbst bei Pflegestufe Null. Beyer: „Eine wirkliche Erhöhung der Lebensqualität.“
Als Konsequenz der Studie will er im 2010 gegründeten Demenznetzwerk Erzgebirgskreis für mehr Tagespflegeplätze werben. Die Patienten werden morgens abgeholt und abends heimgebracht – eine gute Sache. „Aber wer etwa in Johanngeorgenstadt wohnt, findet derzeit das nächste Angebot in Raschau. Bis zu einer Stunde im Kleinbus herumgefahren werden – das können Sie Demenzkranken einfach nicht zumuten. — Internet: http://vbad.de
Von Frank Hommel
Erschienen in der „Freien Presse – Auer Zeitung“ am 10. Januar 2011