
FP-Pressebericht, Auer Zeitung, August 2011
Quelle: „Freie Presse“ – Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung
Am Helios-Klinikum in Aue kommen Angehörige von Demenzkranken mit Ärzten und Helfern sowie miteinander ins Gespräch. Auch die spezielle Gedächtnissprechstunde ist im Erzgebirge einzigartig.
Von Frank Hommel
Aue – Margit P.’s Vaters fühlt sich fit. Warum auch nicht? Er ist noch nicht einmal 70 Jahre alt. Also versteht er nicht, warum seine Tochter die Auto-Schlüssel vor ihm verbirgt. Genauso wenig, wie er versteht, dass selbst die eigene Ehefrau ihm diese Schlüssel nicht geben mag. Manchmal versteht er nicht einmal, dass diese Frau seine Ehefrau ist.
Mit ruhigen Worten schildert Frau P. das Schicksal ihres Vaters. Der leidet an Demenz. Ein Schicksal, dass auch ihre Familie umschlungen hält. Die Tochter verliert den Vater, die Ehefrau den Gatten. Ein unvorstellbares Nichts frisst ihn von innen her auf.
Ungezwungene Atmosphäre
Margit P. spricht ohne Scheu. Obwohl sie die Menschen mit am Tisch noch nie zuvor gesehen hat. Sie ist zum ersten Mal gekommen zur Demenzsprechstunde für Angehörige am Helios-Klinikum Aue. „Es ist eine Wohltat, zu merken, ich bin hier nicht alleine“, sagt sie.
Einmal im Monat treffen sich dort Angehörige von Demenzkranken wie Margit P. und Hannelore L. (Vor- und Zuname geändert). Auf dem Tisch steht eine Platte mit belegten Brötchen, dazu gibt es kalte Getränke, heißen Kaffee. Die Atmosphäre soll ungezwungen sein. Wer kommt, soll schließlich etwas Halt finden, ein offenes Ohr. „Das Thema Demenz ist ein Tabu“, sagt Hannelore L. „Aber hier kann man mit anderen Leuten sprechen.“ Auch mit Ärzten wie Horst J. Koch, dem Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie. Mit Andreas Bauer, dem Assistenzarzt an der Klinik, der für die Runde wissenschaftliche Erkenntnisse aufbereitet. Mit Helfern wie Holger Beyer vom Marienberger Verein zur Betreuung Angehöriger Demenzkranker, der mit dem Krankenhaus zusammenarbeitet. Margit P. sagt, sie hofft auch auf Tipps von anderen Angehörigen. Holger Beyer wiegt den Kopf: „Patentrezepte sind schwierig.“ Kein Fall sei am Ende mit dem anderen vergleichbar.
Für Menschen, die Angehörige noch nicht aus nächster Nähe so erleben mussten, klingen die Erzählungen wie die von Margit P. bizarr. Ihr Vater wollte bei seinen letzten Ausflügen mit dem Auto irgendwann nicht mehr weiterfahren. Etwa, weil er auf seine Frau warten wollte. Die doch neben ihm saß.
Humor als ein Mittel
Wie schwer es ihnen auch fällt, sagt P.: „Wir versuchen so oft wie möglich zu lachen. Aber nicht über ihn, sondern mit ihm.“ Was Chefarzt Koch begrüßt: „Humor ist schon gut. Man darf nur die Patienten nicht beschämen.“ Die Selbstachtung verbietet es Demenzpatienten so gut wie immer, erste Anzeichen richtig zu deuten und sich selbst einzugestehen. Dabei ist nicht jede Erinnerungslücke ein Zeichen für Demenz. „Dafür gibt es auch andere Ursachen, etwa Überlastung, Depression, hormoneller Umschwung“, sagt Psychiater Andreas Bauer. Um dem auf den Grund zu gehen, hält die Klinik neben den Angehörigen-Sprechstunden Gedächtnissprechstunden ab, bei dem Patienten verschiedenen Testverfahren unterzogen werden können. Auch dieses Angebot ist in seiner Regelmäßigkeit im Erzgebirgskreis einzigartig. Bauer: „Und wer freiwillig kommt, leidet meist eben nicht unter Demenz.“
Angebote: Die Sprechstunde für Angehörige Demenzkranker im Helios-Klinikum Aue findet immer am ersten Donnerstag im Monat ab 17 Uhr, also auch morgen, statt, die Gedächtnissprechstunde dienstags 14 bis 18 Uhr. Information und Anmeldung: 03771 581536. Die Fachabteilung für Psychotherapeutische Medizin/Psychotherapie des Klinikums Mittleres Erzgebirge in Zschopau bietet die Gedächtnissprechstunde im Rahmen der Institutsambulanz. Kontakt: 03725 401104.
Quelle: „Freie Presse, Auer Zeitung, 3. August 2011, S. 11 – Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung